Das Haus Harling
Eines unserer schönen, alten Patrizierhäuser steht nahe dem Fruchtmarkt in der Badergasse 2: das Harling-Haus, wie es nach den früheren Besitzern benannt ist. Einige Jahrzehnte stand es ganz im Schatten anderer Bürgerhäuser. Doch nach der jüngsten Sanierung ist es nun wieder zu einem echten Schmuckstück geworden. Nun strahlt es wieder die gewisse Würde und Beständigkeit jahrhundertealter Gebäude aus.
Wer sich einst den Bau des herrschaftlichen, spätbarocken Hauses mit dem prägnanten Mansardwalmdach leisten konnte und in welchem Jahr es genau gebaut wurde, liegt derzeit im Dunkeln. Die Unterlagen sprechen von Mitte des 18. Jh., also circa 1750. Ein gesicherter Anhaltspunkt ist ein Stich mit der Stadtansicht von Lorenz Janscha (1749-1812) von 1798, auf dem das Harling-Haus die anderen Wohngebäude überragt (Foto 1)
Der Familienname Harling ist seit 1720 notiert. Damals wohnte ein Hans Wendel Harling in der Vorstadt und die Wittib (Witwe) von Martin Harling in der Schmittgaß (Schmittstraße). Die Harlings waren angesehene Binger Bürger. In den Familienzweigen gab es Berufe wie Schiffer, Steuermänner, Schiffsmeister, Holzhändler und Weingutsbesitzer. In der Schmittstraße 46 firmierte 1912 ein Delikatessenhaus Harling. Da die Aufzeichnungen zwischen den Familienzweigen springen und sich die Vornamen in den Linien wiederholen, ist eine Zuordnung ohne vertiefende genealogische Forschung nicht möglich.
Über das Haus Badergasse/Fruchtmarkt setzen unsere derzeitigen Hinweise erst ein, als dieses schon rund 100 Jahre alt war. 1857 wurde die Pferde-Posthalterei in „Harlings-Haus“ verlegt, nachdem der Gasthof „Zum Riesen“ in der Schmittstraße die Turn- und Taxi-Posthalterei aufgegeben hatte. Hier verblieb sie samt Reichstelegrafenstation bis 1880. Der damalige Besitzer ist unbekannt. 1860/1870 wurde das Areal von einem weinbautreibenden Harling-Familienzweig als Sitz des Weinguts gekauft und 1875 nicht nur weiter ausgebaut, sondern auch ein Anbau errichtet (Foto 2). Die Weinberge des Weinguts befanden sich in den Lagen Schwätzerchen, Obermorschweg und Untermainzerweg. Auch das frühere Kirsten-Geländes in Bingerbrück war ein Harling‘scher Weinberg.
Laut Aussage damaliger Zeitzeugen hatte das Haus 1905 zum Fruchtmarkt und zur Amtsstraße hin einen Garten, der mit einer Mauer von 160 bis 180 Metern Länge umgeben war. Der damalige Besitzer namens Heinrich galt als großer Tierfreund, der genau darauf achtete, dass Zugpferde gut behandelt wurde. Oft habe er unter der großen Kastanie im Garten gestanden und die auf der Straße vorbeiziehenden Fuhrwerke beobachtet. War er mit der Behandlung der Pferde durch die Fuhrleute nicht einverstanden war, erstattete er sofort eine Anzeige.
1935 wurden im Vorgarten 9 Garagen gebaut. 4 weitere entstanden 1968 an der Badergasse. Eine weitere Notiz spricht von letztendlich 15 Garagen und einer Werkstatt auf dem Gelände. Vielleicht wisst ihr, wenn die Tankstelle hinzugekommen ist (Foto 3). Gerne in die Kommentare schreiben.
Jener Heinrich Harling hatte drei Kinder: Anna Maria, Heinrich Andreas und Joseph. Alle drei blieben unverheiratet. Nach dem Tod der Brüder war die Tochter die letzte Besitzerin. Sie verkaufte das Areal 1943 an einen Weinhändler Förster.
Seit ca. Anfang des Jahrtausends gehörte das Gelände der Firma Struth aus Ingelheim, weshalb das Gebäude in den letzten Jahren öfters fälschlicherweise mit deren Namen verknüpft wurde. Seit einigen Jahren ist es im Besitz des Unternehmens Gemünden/Molitor aus Ingelheim.
ArchivDingsTag, 13. Februar 2024