Auf dem Vorsprung des Niederwaldes bei Bingen

Am Donnerstag vor 140 Jahren wurde das Niederwald-Denkmal bei Rüdesheim mit bedeutender Binger Beteiligung eingeweiht. Jahrhundertelang gehörten das Bingen und die gegenüberliegenden Ortschaften zum Kurfürstentum Mainz. Selbst die auf dem Wiener Kongress vollzogene Spaltung – Rüdesheim kam zu Hessen-Nassau und Bingen in der neuen Region Rheinhessen zum Großherzogtum Hessen (Hessen-Darmstadt), konnte der inneren Verbundenheit nicht schaden. Bis in die 1970er Jahre war das größere Bingen die Einkaufsstätte für die gegenüberliegenden Orte und die Kinder besuchten hier die höheren Schulen. Das bis dahin stets gut besetzte „Schiffche“ war das alltägliche Transportfahrzeug über den Rhein.

Pferdefuhrwerk beim Transport von Germania-TeilenNach dem siegreichen Krieg 1870/71 mit der Gründung des Deutschen Reichs und der Ausrufung des preußischen Königs als neuen Deutschen Kaiser Wilhelm I. am 18. Januar 1871 in Versailles, wuchs das Interesse, das Ereignis der Einigung von 25 deutschen Ländern zum Deutschen Reich in einem Monument zu verewigen. Kurdirektor Ferdinand Hayl aus Wiesbaden veröffentlichte schließlich eine ausführliche Arbeit, in der er begründete, dass „kein Platz in ganz Deutschland für das Denkmal so geeignet sei wie der Vorsprung des Niederwaldes bei Bingen“.

Nachdem Wilhelm I. und Bismarck ihr Einverständnis gaben, wurden Komitees gebildet und Spenden gesammelt. Im Februar 1872 erfolgte die erste Ausschreibung für die Gestaltung. Da die aus 40 Einreichungen erwählten Siegerentwürfe nicht überzeugten, erfolgte eine zweite Ausschreibung, von denen ebenfalls kein Entwurf zum Zuge kam. Schließlich beauftragte man Prof. Johannes Schilling aus Dresden einen Entwurf anzufertigen. Zur Grundsteinlegung am 16.09.1877 kamen das Kaiserpaar mit dem Kronprinzen, die von Wilhelm I. mit drei Hammerschlägen vollzogen wurde.

Aus der ganzen Region arbeiteten Menschen an dem Bauwerk. Alleine 45 Steinmetze hatte man zusammengeholt, die das Monument aus unbehauenen Quadern formten. Für die 13-stündige Arbeitszeit gab es einen Lohn vom 3,50 Mark. In Mondscheinnächten wurde sogar nachts gearbeitet, damit das Denkmal pünktlich fertig wurde.

Schiffskonvoi vor dem Binger Rheinufer am Tag der Einweihung.Die bronzene „Germania“ wurde am 30. Juli 1881 in München bei der Erzgießerei Miller in 83 Teilen gegossen. Insgesamt gehörten über 100 Teile und Elemente zur „eisernen Frau“. Zum Guss des Kopfes fand im Beisein einer sechsköpfigen Reitertruppe des Binger Schützenvereins statt, die zu einem Schützenfest in München weilten. Der Großteil der Einzelteile traf am 05.07.1883 auf sechs Eisenbahnwaggons im Bingerbrücker Bahnhof ein und wurden in den folgenden Tagen mit dem festlich geschmückten Trajekt-Boot nach Rüdesheim gebracht. Besonders große Stücke wurde ab Worms von einem „reichlich geschmückten Schiff“ unter Begleitung einiger Honoratioren, erst einmal über Rüdesheim hinaus nach Bingen geschleppt, wo man ein Mittagsmahl einnahm und der Einladung des Binger Tabak- und Zigarrenfabrikanten Gräff folgte. Anschließend ging es unter Begleitung der Binger Schützengesellschaft nach Rüdesheim. Um 10 Uhr am 10.07.1883 verkündeten 12 von ihnen abgefeuerte Böllerschüsse, dass nun alle Teile in Rüdesheim angekommen sind.

Die Montage der schweren Elemente erfolgten von der Innenseite her. Ein „besonderer Kraftakt“ war die Montage des Kopfes. „Die Tätigkeit war durch Wärme und Luftmangel erschwert. Die Monteure krochen durch die Hand der ‚Germania‘ wieder an Tageslicht“. Am 28.07.1883 um 15 Uhr schallten wiederum Böllerschüsse über das Tal und brachten die Kunde, dass die Montage beendet sei.

Einweihung durch Kaiser Wilhelm I. am 28. September 1883.Die Einweihung am 28. September 1883 war ein weitreichendes Ereignis. Zwei Ehrenzüge und 112 Waggons brachten die hohen Festgäste, die dann zum Niederwald hochgefahren wurden. Wegen der Größe des Denkmals von 38,18 Metern hatte man nur den Mittelteil symbolisch mit einem blauen Tuch verhüllt. Nach dem Lied „Nun danket alle Gott“ und einer Festrede enthüllte der greise Kaiser Wilhelm I. das Monument. Geschütze donnerten, Böller krachten und alle Glocken der Umgebung läuteten und die Binger Bevölkerung feierte einen ausgiebigen Festtag.

Entgegen dem damaligen Usus verzichtete man bei der Herstellung des Denkmals, französische Waffen des Krieges einzuschmelzen und zu verarbeiten. Ähnliche, annähernd friedliche Töne schlägt auch die Haltung der Figur an: Zwar reckt die Germania dem geschlagenen Frankreich triumphierend seine Reichskrone entgegen, hält aber in der Linken das Schwert gesenkt auf den Boden. Mit leicht verklärtem Blick blickt sie nach links, also nach Osten und nicht nach Frankreich. Es gibt aber gefälschte Abbildungen der NS-Zeit, die bis heute unkritisch im Umlauf sind. Darin blickt sie nach rechts oder ballt Frankreich ihre Faust entgegen. Allerdings sind auch ein paar Strophen der martialisch-nationalistischen „Wacht am Rhein“ angebracht, die bereits 1840 verfasst wurde. Ihr wenden wir uns an einem späteren ArchivDingsTag zu.