Not-Krankenhaus

Als die Binger Patienten im Weinkeller und mitten im Wald operiert werden mussten

Beim Bombenangriff am 25. November 1944 wurde auch das Heilig-Geist-Hospital so schwer getroffen, dass es nicht mehr benutzt werden konnte. 47 Tote und 70 Verletzte waren zu beklagen. Von 19 verschütteten Schwestern konnten 2 nur noch tot geborgen werden. Das Hauptgebäude lag in Trümmern, der Operationssaal war zerstört, das Vorderhaus ohne Fenster und Türen und im Marienhaus war die Vorderfront eingedrückt.

Bombenschäden am Heilig-Geist-Hospital, Frühjahr 1945.Die Kranken wurden notdürftig an verschiedenen Orten versorgt. Diejenigen, die im alten Waisenhaus untergebracht wurden, mussten nach dessen Zerstörung am 12. Dezember 1944 ins Haus Annaberg verlegt werden. Als auch dieses bei weiteren Angriffen beschädigt wurde, brachte man sie ins Institut der Englischen Fräulein. Nach dessen teilweiser Zerstörung wurde die chirurgische Abteilung in das Kinder-Landschulheim Jägerhaus im Binger Wald verlegt. Die bettlägerig Kranken wurden im Kloster auf dem Rochusberg untergebracht.

Mit dem Vorrücken der Alliierten wurde die Verbindung zur chirurgischen Abteilung unterbrochen und die Operationen in den Keller der Rochusstraße 6 verlegt. In dessen tiefen Keller richtete man ab dem 10. März 1945 ein Not-Hospital ein. Auf dem Grundstück von Betty Müller führte eine Treppe vom Hofgebäude zunächst in den normalen Hauskeller. Eine weitere Treppe führte in den eine Etage tiefer liegenden großen Weinkeller mit einer Gesamtfläche von 300 qm. Die dort aufgereihten Betten hatte man aus allen möglichen Quellen organisiert. Zum Glück gab es einen Brunnen mit Grundwasser, denn die städtische Wasserleitung war ebenso zerstört wie das Stromnetz. Licht spendeten Kerzen, Stalllaternen und Petroleumlampen. Frischluft kam nur über die Treppe und die Kellertür herein. „Der Sorge um Brennmaterial war man enthoben, denn es gab sowieso keine Öfen“ schreibt Rudolf Engelhart in seinem Erlebnisbericht. In zwei großen Kesseln konnten warme Getränke und eine bescheidene Verpflegung hergestellt werden.

Der Keller füllte sich so schnell mit Kranken und Kriegsverletzten, dass Betty Müller auch ihre Wohnung im Vorderhaus zur Verfügung stellte und dann auch noch das angrenzende Lyceum in der Rochusstraße 8 (heute Caritas) belegt wurde.

In der Nacht vom 15. März 1945 fand der letzte Fliegerangriff auf Bingen statt. In der folgenden Nacht verließen die NS-Behörden und NSDAP-Funktionäre die Stadt, darunter auch Amtsarzt Dr. Struth. Als einziger Binger Arzt verblieb Dr. Pinkl. Andere Mediziner kamen aus der zurückweichenden deutschen Armee oder stammten aus evakuierten Orten. Unterstützt wurden sie von Heilpraktiker Rudolf Engelhardt, der später auch als Heimatforscher Bekanntheit erlangte.

Viele Verwundete gab es auch, als Bingen Frontstadt wurde. Eine Flakeinheit auf dem Rochusberg, eine kleine SS-Einheit Soldaten und die meist zwangsverpflichteten Männer des Volkssturms sollten den Vormarsch aufhalten. Als schließlich am 20. März 1945 die ersten amerikanischen Panzer Bingen eingenommen hatten, hörten die Kriegshandlungen auf.

Das Heilig-Geist-Hospital 1937.Am 10. April 1945 war das Isolierhaus des Heilig-Geist-Hospitals wieder für die Frauen- und Geburtsstation nutzbar. Ab dem 17. April 1945 konnte die chirurgische Abteilung ebenerdig im Lyceum untergebracht werden. Nach gut einem Jahr stand ab dem 22. Mai 1946 die Villa Sachsen für die chirurgische und internistische Abteilung mit 100 Betten zur Verfügung. Erst mit einem neuen Bau auf dem Gelände des Hospitals konnte diese Außenstelle im Juni 1949 aufgegeben werden. 1957 wurde das Bettenhaus neu errichtet und 1958 der OP-Trakt des Heilig-Geist-Hospitals umgebaut.

„In jenen verzweifelten Wochen, in denen Bingen zur Frontstadt und zum Schauplatz unmittelbaren Kriegsgeschehens wurde, haben sich viele große Verdienste erworben. „Ungesagt und ungeschrieben wurde in selbstverständlicher Kameradschaft Hilfe geleistet, wo Not entstanden war. […] In dankbarer Erinnerung sei all jener gedacht, die sich einsetzten dem Mitmenschen zu helfen. Und dazu trug das stille Heldentum der Ärzte, Schwestern und Helfer des damaligen Not-Hospitals in vorbildlicher Weise bei“, schließt Rudolf Engelhardt einen seiner Zeitzeugenberichte.

ArchivDingsTag, 7. Januar 2025