Das ehemalige Gautor

Zeichnung des alten Gautors von Rudolf Müller nach einem Kupferstich von Wiederhold-Göttingen (ca. 1790)Heute führt Euch das ArchivDings zurück in die Zeit um 1790. Rund um die Stadt sorgt eine Mauer für den Schutz der Bürger. Betreten kann man sie nur durch eines der bewachten Stadttore (siehe Merian-Stich, Foto unter dem Beitrag).

Während es von der Stadtmauer zur Rheinseite und zur Nahemündung hin zeitgenössische Zeichnungen gibt, beschränkt sich die Darstellung der Westseite im Wesentlichen auf den Kupferstich von Wiederhold-Göttingen (ca. 1790).

Das Stadttor nach Westen hat den Namen „Gautor“ und stand an der heutigen Kreuzung Schmittstraße/Gaustraße mit der Schlossbergstraße. Die weitere Wegeführung vom Gautor stadtauswärts führte zur „binger brück“, auch Nahebrücke genannt (heutiger Name Drususbrücke) und zur Straße nach Büdesheim.

Aufzeichnungen über die „gawe portam“ (Gautor) reichen bis ins Jahr 1238 zurück. An allen Toren wurden fleißig Zollabgaben für ein- und ausgeführte Waren kassiert. Am Gautor war der „Gauzöllner“ dafür verantwortlich.  

An Stelle der festen Stadtgraben-Überquerung wie in der Zeichnung dargestellt, gab es zuvor eine Zugbrücke. Man kann sich gut vorstellen, wie mächtig und gut gesichert auch die anderen Binger Stadttore waren.

Die sehr lebendig wirkende Zeichnung stammt aus der Feder von Rudolf Müller, dem Leiter der früheren Binger Bauschule, der von 1881 bis 1960 lebte. Sie ist rekonstruiert aus dem Kupferstich von Wiederhold-Göttingen, ergänzt um die seinerzeitigen Kenntnisse zur alten Stadtbewehrung. Es ist daher keine historisch verifizierte Zeichnung.

Damals und noch bis zum Ende des 18. Jh. konzentrierte sich die Wohnbebauung von Bingen auf die Fläche innerhalb der Stadtmauer. Ein ausgedehntes Weinberggelände als Haupterwerbszweig der Binger Bürger lag ortsnah zum Beispiel unmittelbar vor dem Gautor.

Das Gautor dürfte lt. Rudolf Engelhardt im Eigentum des Domkapitels gewesen sein. In der Säkularisierung 1803 wurde aller geistlicher Besitz enteignet und ging in städtisches oder privates Eigentum über. So auch die Stadtmauer und deren Türme. Da die Umwehrung aber einerseits ihren taktischen Wert verloren hatte, der Erhalt von Mauer und Türmen viele Steuergroschen gekostet hätte und andererseits nach dem Ende der napoleonischen Zeit die Stadt dringend Platz für eine expansive Weiterentwicklung brauchte, wurde die Stadtmauer zwischen 1817 und 1820 niedergelegt und die Steine für diverse neue Bauten wiederverwendet. Nur der Löhrturm und wenige Stücke der Stadtmauer (zum Beispiel in der Laurenzigasse) blieben bis heute erhalten.

Für das Gautor aber war 1818, als knapp 30 Jahre nach dem Stechen des Kupferstichs von Wiederhold-Göttingen, das Ende gekommen.

Stadtansicht Bingen im Jahr 1633 (Ausschnitt)