Café Soherr und Hotel Hilsdorf

Café Soherr, um 1890Der Familienname Soherr ist schon seit 1640 in Bingen nachweisbar und durch eine Reihe von Binger Persönlichkeiten bekannt. Die Linie von Georg Soherr besaß im 19. Jh. das „Café Soherr“ am Marktplatz (heute Speisemarkt). Es wird in den Annalen als Mittelpunkt des damaligen wirtschaftlichen aber auch gesellschaftlichen Lebens unserer Stadt bezeichnet.

Als im Zusammenhang mit dem Wiener Kongresses (1815) das „Wiener Café“ in Mode kam, wurde das Café Soherr die erste Adresse in Bingen. Die Lage des imposanten Patrizierhauses mit dem dekorativen Erker war optimal. Im geräumigen Hinterhof war ein Stall für Pferde und Kühe, die Wagenremise, sowie ein Bereich für die Fabrikation von Branntwein und Essig. Weiterhin gab es einen Verkaufsraum für Kleinhandelswaren.

Hotel Hilsdorf, 1911Ganz besonders an den Markttagen war das Café eine regelrechte Börse. Aus der ganzen Region, dem Mittelrhein, Rheingau, Naheland und Rheinhessen traf man sich dort, um Geschäfte abzuwickeln. Man prüfte die allgemeinen Marktverhältnisse, wog die Chancen von Angebot und Nachfrage ab, setzte Tagespreise fest, zog Erkundigungen über die Bonität anderer ein und tauschte Neuigkeiten zu Gründungen oder Veränderungen sowie den wirtschaftlichen Aussichten aus.

Als die männliche Café-Soherr-Linie erlosch, entschlossen sich 1889 die beiden Töchter zum Verkauf an die Familie Hilsdorf. Diese baute 1891 das Haus neu auf und eröffnete darin das „Hotel Hilsdorf“. Der Cafébetrieb wurde zwar beibehalten, konnte aber nicht mehr die alte Bedeutung erlangen.

Nach dem 1. Weltkrieg trug die Wirtschaftskrise mit dazu bei, dass der Hotelbetrieb aufgegeben und das Gebäude zu einem Geschäftshaus umgewidmet wurde. Der eine oder andere mag sich noch an „Spielwaren-Hilsdorf“ erinnern, an die Filiale der Sparkasse oder den „Seifenplatz“. Seit letzten Herbst ist dort ein Verkaufsraum der Bekleidungskette „Ernsting‘s Family“. 

Haus Hilsdorf, 2023