Ein Superwal in Bingen

Ein Flugboot wassert.Jeden Dienstag postet das Stadtarchiv unter dem Hashtag „ArchivDingsTag“ einen Beitrag auf der Facebook-Seite der Stadt Bingen. Das kann ein Dokument sein, ein Zeitungsartikel, Bilder oder auch eine Kombination.

„Damit das Ganze auch vielfältig ist und unterschiedliche Interessen bedient, mische ich die Themen von Woche zu Woche“, so Stadtarchivarin Petra Tabarelli. „Am häufigsten geteilt und gelikt werden Beiträge aus der jüngeren Geschichte. Also aus der Zeit der eigenen Jugend und den Jahren in denen Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern gelebt haben“. Je nach Alter der User heißt es dann gerne in den Kommentaren „daran kann ich mich noch als Kind erinnern“ oder „davon hat mir meine Oma gerne erzählt“.

Bei der Durchsicht der Archivalien fand ich Fotos mit Flugbooten die am Binger Rheinufer Es war aber weder ein Datum angegeben, noch gab es einen Hinweis zum Hintergrund der Wasserung. Dass die Veröffentlichung aber eine derart große Resonanz fand, war nicht absehbar. Nachdem der Post auf Facebook online ging, gab es recht schnell Kommentare mit den ersten Informationen aus der Community, die sich dann zu einem Gesamtbild formten und schließlich eine interessante Story offenbarten

Übrigens können auch Interessierte, die nicht auf Facebook unterwegs sind, in den Genuss der ArchivDingsTag-Geschichten kommen. Jeden Monat verschickt das Stadtarchiv per E-Mail einen Newsletter in dem die Geschichten gesammelt und um interessante Links ergänzt sind.

Als ein Superwal in Bingen strandete

Das Flugboot wird vertäut.Montag, 17. Februar 1930. Die neue Woche begann wie gewohnt. Wenige Stunden später hatte sich das Blatt gewendet, denn der Superwal D-1785 strandete in Bingen. Eine halbe Stunde zuvor war er noch ohne Probleme über das Niederwalddenkmal geflogen. Nun hatte der Pilot mit Geschick das Flugboot bei der Notwasserung so aufgesetzt, dass es nicht mit einem Lastkahn auf dem nahen Fahrwasser kollidierte. Anschließend vertäute er es an einer Boje.

Superwal – Das legendäre Flugboot

Hinter der legendären Bezeichnung Superwal verbirgt sich ein großes Flugboot mit 4 Propellermotoren der Firma Dornier aus Friedrichshafen am Bodensee. 1926 ging der erste Superwal der R 2 Klasse in die Luft. Ab 1928 setzte die Lufthansa die Superwal D-Serie im Liniendienst ein. Da sich die Maschinen aber für diese Funktion nicht bewährten, wurden sie bereits 1932 an die DVS (Deutsche Fliegerschule) abgegeben. 1937 wurde in Deutschland der letzte Superwal außer Dienst gestellt.

Schneefront über dem Hunsrück zwingt zur Umkehr

Doch was war passiert, dass es zur außerplanmäßigen Wasserung in Bingen kam? D-1785 war auf einem Etappenflug von Friedrichshafen nach Norderney und sollte dort im Auftrag des Reichsverkehrsministeriums der Lufthansa übergeben werden. Schon der morgendliche Start stand unter keinem guten Stern. An jenem Montagmorgen hatte sich der Start nach seinem nächtlichen Zwischenstopp in Mannheim bereits verzögerte Ein Steuerbordmotor sei ausgefallen gewesen, hieß es später in der Gerüchteküche. Aber dank seiner Geschwindigkeit von bis zu 210 km/h sollte D-1785 das Ziel Norderney noch am gleichen Tag problemlos erreichen können. Um 11:45 Uhr war er über Worms, 12:00 Uhr passierte er Mainz, um 12:30 Uhr das Niederwaldenkmal und schwenkte dann über dem Binger Loch in Richtung Bacharach ein. Dort geriet das Flugboot allerdings in eine Schneefront mit starken Böen die sich dort aufgebaut hatte. Die Sichtverhältnisse wurden katastrophal und ein Weiterflug zu gefährlich. Der Pilot entschied sich zur Umkehr und wasserte schließlich am Rheinufer zwischen Stadthalle und Marne-Kaserne.  

Die Gerüchteküche überschlägt sich

Da das Flugboot sichtbare Schäden hatte, überschlagen sich die Spekulationen in Bingen und Zeitungen in ganz Deutschland. „Superwal einer Katastrophe entgangen“ titelte zum Beispiel der Bonner Generalanzeiger. Ansaugstützen an einem der vier Motoren hätten sich gelöst. Metallteile hätten nicht nur Propeller und Rumpf beschädigt, sondern ein Motor sei gar ins Innere auf den Sitzplatz Nr 13 geschleudert worden. Tote habe es nicht gegeben, weil glücklicherweise nur Pilot Eugen Fath und zwei Mechaniker an Bord gewesen seien, aber keine Fluggäste. Normalerweise wären vier Crewmitglieder und bis zu 19 Passagiere an Bord.

Das wassernde Flugboot wird von einigen Rheinkai-Gästen beobachtet.Tausende bestaunen die Sensation

Binnen kurzer Zeit waren nicht nur die Binger am Rheinufer, sondern aus ganz Rheinhessen und dem Hunsrück kamen Tausende Menschen und bestaunten die Sensation. Auch Lehrer mit ihren Schulklassen und die die Studenten des Rheinischen Technikums (Anmerkung: heutige TH) fanden sich am Rheinufer ein. Für Fotografen war es ein fulminantes Geschäft, denn viele Besucher wollten zusammen mit dem Flugzeug fotografiert werden.

Der Pilot relativiert die Gerüchte

Einen Tag später relativierte Pilot Eugen Fath das Geschehen gegenüber der Presse und erzählte wie es wirklich war. Er hatte Bingen in einer Höhe von 500 Metern überflogen und folgte weiterhin dem Lauf des Rheins. Bei Bacharach habe sich vor ihm eine gewaltige Schneeböe aufgebaut und die Sicht versperrt. Der Superwal war auf Sichtflug. Unter der Bö zu fliegen wäre unmöglich gewesen. Über den Wolken ebenso, denn ein Wasserflugzeug müsse darauf bedacht sein, sich dauernd über Wasser zu halten, falls es wassern müsse. So habe er sich zur Umkehr entschieden, um einen geeigneten Landungsplatz zu suchen. Bestärkt habe den Entschluss die Meldung des Bordmonteurs, dass sich ein Ansaugkrümmer losgerissen und den Propeller beschädigt habe, was zum Ausfall eines der Motoren führte.

Da die anderen drei aber ohne Problem funktionierten, gab es keinen Anlass zu einer sofortigen Notlandung. Über Bingen angekommen habe er sich dann einen geeigneten Landungsplatz gesucht und sei niedergegangen. Es habe nur kleine Schäden gegeben und auch die Innenkabine sei heil geblieben, wovon sich Besucher durch Inaugenscheinnahme überzeugen konnten. Es sei lediglich ein Motor samt Propeller nicht mehr intakt und eine Dülle, ein Teil des Flügels, steckt im Flugzeugrumpf.

Auch die Vermutung, dass es einen Zusammenhang mit dem Motorenproblem morgens in Mannheim gäbe, sei nicht richtig. Die Maschine sei beim Ankurbeln erst einmal nicht angesprungen, weil es diese wegen der frostigen Nacht zu kalt gewesen sei – so wie man es auch vom Automotor her kenne.

Am Bodensee wäre die Landung nicht aufgefallen

Überrascht zeigt sich die Crew von dem gewaltigen Menschenauflauf am Binger Rheinufer. Am Bodensee, so Pilot Fath weiter, hätte dies kaum jemanden interessiert, denn dort wären Wasserflugzeuge ein bereits gewohnter Anblick.

Hier im seinerzeit von den Franzosen besetzten Bingen war sein Flugboot dagegen eine Sensation. Zwar waren Flugzeuge am Himmel kein neuer Anblick, aber ein nur wenige Meter vom Ufer entfernt ankernder Superwal mit seiner Länge von 25 Metern und einer Höhe von 6 Metern hatte kaum jemand aus der Binger Region bisher aus der Nähe gesehen.

Französische Besatzungsmacht zeigt großes Interesse mit faszinierendem Schauspiel

Ein Flugboot mit einem DoppeldeckerDie Notwasserung von D-1785 erfolgte ja quasi untermittelbar vor der Marne-Kaserne. Noch am Dienstag inspizierten mehre französische Offiziere die Maschine.

Am Mittwoch passierte dann ein unerwartetes Schauspiel, was die vielen Neugierigen sicherlich zusätzlich faszinierte und den Auflauf noch vergrößerte. Um 12.30 Uhr erschienen nämlich plötzlich sechs französische Kampflieger vom Typ Doppeldecker, die vom damals französischen Militärflughafen Finthen aufgestiegen waren und sich für volle drei Stunden über dem Rhein-Nahe-Eck aufhielten. Dabei vollführten sie diverse fliegerische Kunsttücke wie Loopings, Rollen und gewolltes Trudeln, formierten sich zu Staffelflügen oder flogen gar im Gleitflug herunter bis auf 10 Metern über der Wasseroberfläche. Einzelne Maschinen umkreisten immer wieder das Niederwalddenkmal und den Mäuseturm. Dabei sei der Superwal aus den Flugzeugen heraus auch viel fotografiert worden.

In der Presse wurde später kommentiert, dass die Franzosen damit wohl beweisen wollten, dass sie besser fliegen können als der Superwal-Pilot, denn es sei kaum anzunehmen, dass die Staffel den deutschen Flugzeugen eine Huldigung darbringen wollte.

Reparatur in Mainz

Am Donnerstag wurde die D-1785 von einem Motorboot in Schlepptau genommen und nach Mainz gebracht. Dort wurde sie von aus Friedrichshafen angereisten Monteuren repariert und konnten nach weiteren 2 Wochen erneut zum Flug nach Norderney starten, um dort den regulären Dien anzutreten.