Die Vorgeschichte des Binger Winzerfestes

Ein Erntedankfest

Ein Winzerfest als Weinlesefest, das ist nichts Bingen-typisches, sondern ist in Weinbauregionen mindestens seit dem 19. Jahrhundert Tradition: Zum Abschluss der Weinlese veranstaltete jedes Weingut am letzten Erntetag ein Fest: Wagen und Zugtiere wurden geschmückt und alle Erntehelfer*innen fuhren fröhlich singend durch die Straßen der Gemeinde oder Stadt und abschließend zum Weingut. Dort folgte ein fröhlicher Abend folgte als Dank an die Leser*innen für ihre Arbeit.

Das war vor 60 Jahren noch bekannt, in der Winzerfest-Beilage der Allgemeinen Zeitung wird dieses Foto des Stadtarchivs untertitelt: „Sie [die Fotoaufnahme] stammt aus dem Jahre 1911 und zeigt als Vorläufer des heutigen Winzerfestzuges Winzerinnen und Winzer nach einem Umzug als Abschluß der Weinlese.“

Ein Winzerzug 1911

Die Anzahl der Personen ist erstaunlich. Aber auch, wenn auf Fotos der 1910er Jahre größere Menschengruppen dargestellt sind, war es kein geschlossener Umzug im heutigen Sinne, sondern Weingut-eigene Feste an unterschiedlichen Tagen. Je nachdem, wann der letzte Tag der Weinlese war. Große Weingüter hatten 50 und durchaus auch noch mehr Leser*innen und Legelträger im Einsatz, die alle bei dem Winzerzug des Weinguts dabei waren. 

"Es gab schon früher in Bingen Winzerfeste, meist in der Herbstzeit, das heißt, nach Abschluß der allgemeinen Weinlese. Sie waren immer im Gedanken der Lese selbst gehalten und eigentlich in erster Linie gewissermaßen Erntefeste. Sicher kamen dazu auch Gäste, vielfach von außerhalb, aber im Sinn des Weinkonsums und der Förderung des Fremdenverkehrs wurden diese Feste noch nicht abgehalten."
(Aus: Schmitt-Kraemer: Das erste Winzerfest. (Allgemeine Zeitung, 31. August 1955)

1920 oder in einem der darauffolgenden Jahre ist dieses Foto eines Winzerzuges entstanden.

Aber natürlich war nicht jede Winzergruppe so groß. Vor 100 Jahren gab es noch einige Weinbergslagen innerhalb der Binger Innenstadt und nicht jede gehörte einem großen Weingut, sondern auch vielen einzelnen, kleinen Winzerfamilien (siehe auch: Archivalien erzählen Geschichte(n): Die Binger Weine und Rebflächen vor knapp 100 Jahren)

Dieses Foto ist in den 1920er Jahren während der Frühstückspause bei der Weinlese entstanden.

Die Frühstückpause war meist um 9 Uhr. Man richtete sich gerne nach der Pausensirene der Firma Richtberg (Himmelsbach).

Eine Winzerfamilie 1929 auf dem Weg zur Arbeit. Heute verläuft hier die Straße Im Rheinblick.

Die Weinlese vor 125 Jahren 

Damals musste die Weinlese in einer vom Gemeinde- bzw. Stadtrat beschlossenen Zeitspanne erfolgen. Der Zeitraum variierte von Jahr zu Jahr, je nach dem witterungsbeeinflussten Reifestand der Trauben.

1896, als Bingen Stadtrechte erhielt, legte der Rat die Zeit zwischen dem 19. Oktober und 20. November fest. In den Wochen vor der Lese waren die Weinberge "geschlossen", wie es damals hieß. Das Betreten der entsprechenden Gemarkungen durfte nur mit einer Genehmigung erfolgen. Die Einhaltung wurde durch den Rebschütz, auch Wingertsschütz genannt, streng überwacht. Dieser sorge auch dafür, dass sich möglichst keine Starenschwärme niederließen, die in kurzer Zeit durchaus einen Weinberg leer fressen konnten.

Der Rhein- und Nahe-Bote, eine damalige Binger Zeitung, vermeldete am 17. Oktober 1896 die bald beginnende Lesezeit:

„Stadtverordnetensitzung. […]. Einziger Gegenstand der Tagesordnung: Festsetzung der allgemeinen Weinlese. Der Beginn des Herbstes wurde einstimmig auf Montag, 19. Okt. festgesetzt, mit Ausnahme des Distrikts Eisel (von der Drususbrücke ab gerechnet), wo die Lese erst Donnerstag, 22. Oktober beginnt. Der Weinbergsschutz dauert bis zum 20. Nov. Verlängerung kann die Bürgermeisterei auf Antrag gestatten."

Kurz danach, am 22. Oktober 1896, berichtete der Rhein- und Nahe-Bote über das schlechte Wetter bei der Lese:

„Weinlese. Nachdem der Herbst in unserer Gemarkung in der denkbar schlechtesten Weise unter strömenden Regen begonnen, hat sich gestern und heute das Wetter einigermaßen aufgehellt, so daß die Leser doch ihre Arbeit verrichten können, ohne völlig durchnäßt zu sein und vor Frost zu klappern. Hoffentlich vervollständigt sich die Wendung zum Besseren zu einer völligen Aufklärung der Witterung, die den in den Wingerten Beschäftigten ermöglicht, mit Freudigkeit den reichen Segen einzuheimsen. Denn ein reicher Segen bleibt die Fülle von Trauben immerhin, trotz allem Klagen über das saure Zeug. Auch ist es mit der Säure gar nicht einmal so schlimm. Abgesehen von den ganz schlechten Lagen wird der 96er dem 94er gleichkommen oder ihn gar übertreffen.“

Das Foto zeigt die Mitglieder des Binger Winzerereins 1907 anlässlich des 10jährigen Vereinsjubiläums

    1858 - Das erste Winzerfest?

    Sehr beharrlich hält sich die Geschichte, dass das erste Binger Winzerfest 1858 stattgefunden haben soll. Dem ist aber nicht so. Stattdessen...